Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
On 21. November 2018 by organickoala176Nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) im Jahre 1954 übernahm de facto der Nordatlantikpakt die Garantie für Sicherheit und Frieden der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und später der Europäischen Union. Die durch die militärische Stärke begründete Dominanz der Vereinigten Staaten wurde erst in den 90er Jahren modifiziert, indem der europäische Pfeiler des Verteidigungsbündnis als „Juniorpartner“ anerkannt wurde. Nach langen Jahren der guten und fruchtvollen Zusammenarbeit mit den USA und den anderen NATO-Verbündeten möchte Europa mehr und mehr in eine Rolle als gleichberechtigter Partner hineinwachsen. Die EU muss den daraus entstehenden Forderungen eines fairen „burden sharing“ gerecht werden.
Die Konflikte in Bosnien, im Kosovo und in Mazedonien haben der Europäischen Union bereits dramatisch die militärische Ohnmacht auf europäischer Ebene und die Notwendigkeit vor Augen geführt, die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) auszubauen. Wenn auch kein Mitgliedstaat der direkten militärischen Bedrohung durch einen Drittstaat ausgesetzt ist, sind im geostrategischen Umfeld zahlreiche Faktoren geblieben oder neu entstanden, die die globale – und damit auch die europäische – Sicherheitsstruktur zu destabilisieren drohen. Internationaler Terror scheint zum sicherheitspolitischen Hauptproblem des 21. Jahrhunderts zu werden. Die fürchterlichen Ereignisse des 11. September 2001 haben gezeigt, dass es keine absolute Sicherheit geben kann. Die herkömmlichen Verteidigungsformen sind damit überfordert, auf die neuen Herausforderungen des Terrorismus zu reagieren. Als Antwort müssen wir nun schnelle und durch die gesamte internationale Staatengemeinschaft unterstützte Lösungsmodelle finden. Diese können nur in eine Richtung gehen: Äußere und innere Sicherheit dürfen sich nicht ausschließen und müssen zu einem stimmigen Konzept zusammengefügt werden. Dabei ist alles zu veranlassen, um Terror im Keim zu ersticken und den Hass zwischen verschiedenen Volksgruppen oder Religionen einzudämmen und zu überwinden.
Durch das Ende des Kalten Kriegs und den Zusammenbruch der relativen Balance der ehemaligen zwei Supermächte hat sich eine neue Situation ergeben, auf die Europa reagieren musste. Seit Jugoslawien hat sich gezeigt, dass regionale konventionelle Kriege wieder führbar geworden sind. Die Sicherheit in Europa ist damit nicht mehr alleinige Aufgabe des transatlantischen Verteidigungsbündnisses NATO. Die europäischen Bündnispartner hatten sich vielmehr entschlossen, verstärkt Verantwortung zu übernehmen und ihren Beitrag zum regionalen Krisenmanagement zu erbringen. Als bedeutende Wirtschaftsmacht muss die EU nun eine entsprechende politische Rolle auf der internationalen Bühne spielen, will sie ihre Glaubwürdigkeit bei den Bürgern nicht verlieren. Europäische Sicherheit ist in der Öffentlichkeit in hohem Maße akzeptiert. Wenn die Öffentlichkeit diesen Politikbereich mit 73% unterstützt, ist dies als klares Signal zu verstehen, dass in diesem Bereich gezielt um Fortschritte gekämpft werden muss. Auf Dauer wird eine umfassende Sicherheit nur durch eine wohlabgestimmte ESVP bei effizienter Nutzung der militärischen Kapazitäten der Mitgliedstaaten gewährleistet werden.
Diese Blaue Reihe umfasst Analysen und Informationen zu weitreichenden Aspekten der ESVP. Neben der Darstellung des Entwicklungsstandes und dessen Beurteilung durch Außenpolitiker des Europäischen Parlaments werden gezielt Probleme angesprochen und Reformansätze aufgezeichnet, mit denen sich die Union in den nächsten Jahren auseinandersetzen muss. Der erste Beitrag erläutert Aufgabe und institutionelle Voraussetzungen der verteidigungspolitischen Zusammenarbeit und gibt einen Ausblick auf gewünschte Reformmöglichkeiten. Dabei wird gefordert, dass der Europäische Rat in Laeken die notwendigen Entscheidungen zur Einsatzfähigkeit der Rapid Reaction Force treffen wird, strategische Ziele festlegt und den finanzielle Rahmen sinnvoll aufgestockt.
Jürgen Schröder setzt bei den institutionellen Neuerungen durch den Vertrag von Nizza an und erläutert die schon auf dem Kölner Rat im Juni 1999 beschlossenen neu zu bildenden Organe, die zum Ausbau der Sicherheitsstrukturen eingerichtet wurden: Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee, Militärischen Ausschuss und Militärstab.
In einem anschließenden Beitrag stellt Dr. Christoph Konrad eine Verbindung zwischen NATO-Osterweiterung, ESVP und dem Verhältnis zu der Türkei her. Laut Konrad müsse eine größtmögliche Kongruenz zwischen NATO, Gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und ESVP angestrebt werden, und die Einsatzfähigkeit unter Einbindung auch der NATO-Staaten, die keine EU-Mitgliedstaaten sind, gesichert werden. In jedem Falle sei der Aufbau von Doppelstrukturen zu vermeiden. Angesichts des jüngsten Verhaltens der Türkei auf dem Budapester NATO-Außenministertreffen sei jedoch deutlich geworden, dass hier noch keine Lösung gefunden werden konnte. Konrad warnt davor, dass der Aufbau von Doppelstrukturen, der im Falle eines türkischen Vetos vorgezeichnet werde, das Bündnis in eine transatlantische Krise führen könne.
Dem Beziehungsgeflecht zwischen ESVP und transatlantischen Beziehungen geht Prof. Dr. Alfred Gomolka auf den Grund. Er bescheinigt dem transatlantischen Bündnis, in den letzten Jahrzehnten historische Bewährungsproben bestanden zu haben und fordert, die bestehende Kooperation – auch durch die Weiterentwicklung der ESVP -auszubauen. Durch die Fähigkeit der Europäischen Union, selbständig auf Krisensituationen reagieren zu können, werde der Union die Gelegenheit gegeben, im transatlantischen Verhältnis ein gleichwertiger Partner zu sein.
Der anschließende Aufsatz von Armin Laschet erforscht die parlamentarische Dimension. Laschet zeichnet die parlamentarische Kontrolle neben der Finanzierung des Ausbaus der ESVP und der Rolle der europäischen Nicht-NATO-Staaten als eine der Schlüsselfragen der gemeinsamen Verteidigung, die sich zu einem Gordischen Knoten der ESVP entwickeln könnte und sieht das Ziel, bereits vor dem Gipfel von Laeken im militärischen und zivilen Bereich die operative Einsatzfähigkeit im Krisenmanagement zu erzielen, gefährdet. Obwohl das Europäische Parlament immer wieder die Notwendigkeit der parlamentarischen Kontrolle betone und besondere Mitspracherechte im Rahmen der Finanzkontrolle besitze, sei diese bisher auf Europäischen Gipfeln weder tiefergehend besprochen noch ausgebaut worden. In den Augen Laschets ist dies sehr kurzfristig gedacht, weil eine überzeugende Politik nur möglich sei, wenn sie auf einer demokratisch legitimierten Basis stünde.
Dr. Karl von Wogau widmet sich der Frage der Beziehung von Sicherheit und Wirtschaft aus Sicht der Europäischen Union. Dabei stellt er heraus, dass die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Politischen Union zu weit auseinander klaffe. Von Wogau geht der Frage nach, welche Schritte ergriffen werden müssen, um dieses Defizit auszugleichen.
Die Hauptproblemfelder sind damit in den Beiträgen offen angesprochen worden. Der institutionelle Aufbau der europäischen Sicherheitsstrukturen steckt noch in den Kinderschuhen und bedarf dringender Konkretisierung, um die operative Einsatzfähigkeit zu gewährleisten. Neben diesen eher technisch ausgerichteten Fragen muss der Europäischen Union die Gradwanderung gelingen, eine eigene Sicherheitsidentität aufzubauen und im transatlantischen Gefüge zu einem starken Partner heranzuwachsen, ohne die Vereinigten Staaten und andere NATO-Partner, die nicht an der ESVP beteiligt sind, zu verstimmen.
Dr. Karl von Wogau widmet sich der Frage der Beziehung von Sicherheit und Wirtschaft aus Sicht der Europäischen Union. Dabei stellt er heraus, dass die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Politischen Union zu weit auseinander klaffe. Von Wogau geht der Frage nach, welche Schritte ergriffen werden müssen, um dieses Defizit auszugleichen.
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